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Crowdfunding und Bürgergesellschaft

Der wolkigste Satz in dem Kommentartext, den Wolfgang Gumpelmaier zum Anlass dieser Blogparade gewählt hat, steht im dritt-letzten Absatz:

“…wie wir unsere Crowdfunding-Campagnen als Katalysator für den Aufbau einer solidarischen und selbstbewussten unabhängigen FilmemacherInnen-Szene nutzen könnten.”

Da zu meinem grössten Bedauern ich selbst für jenen eher inhaltsarmen Satznebel verantwortlich zeichne, fühle ich mich in der Pflicht nachzuspüren, was ich seinerzeit wohl damit gemeint haben mag…

…da erscheinen zwei getrennte thematische Dunstkreise vor meinem geistigen Auge, die im Moment noch nicht so recht ineinanderfliessen wollen. Aber je länger ich sie betrachte, desto deutlicher zeichnen sich Formen und Figuren ab, die aufeinander zu zuwachsen scheinen:
Da ist zum Einen ein Bereich, in dem crowdfundende FilmemacherInnen das Engagement ihrer Unterstützer nicht nur auf das eigene Projekt hin bündeln, sondern sozusagen durch das Projekt hindurch auf einen im weitesten Sinne “community” – orientierten Mehrwert lenken.
Da ist zum Andern ein Bereich, in dem engagierte BürgerInnen ihre politische Entmachtung durch post-demokratische Interessenskartelle nicht mehr hinnehmen, sondern die Machtpositionen der Parteien- und Gremiendemokratie sozusagen symbolisch occupieren, um eine wachsende Bürgergesellschaft zu entwickeln und zu unterstützen.

I.

Als ich vor gut anderthalb Jahren ernsthaft damit begann, Möglichkeiten, Grenzen und Formen einer web(2.0)-basierten Kooperation im Filmbereich zu erkunden, hat mich ein einzelner Klick via @movieangel Marcella Sellbach mitten ins virtuelle Leben geworfen: da gab es diese Kleinstadt in Minnesota, in der die Crème-de-la-Crème der US Indie-FilmerInnen-Szene quasi Tür-an-Tür hauste und werkelte: Ich musste gar nicht gross weiter nach Kontakten suchen; ein kleiner Beitrag zu einer Crowdfunding-Campagne, und ich wohnte mitten unter ihnen…

Wahrscheinlich kennt jeder, der dies liest, TILT THE TOWN, die  Google-Maps-basierte fiktive Community, die von dem Autorinnen-Duo Julie Keck und Jessica King für die Kickstarter-Campagne von Phil Holbrook’s Indie Thriller “TILT” kreiert wurde.
Die erzielte Summe von 15.606 US-Dollar war imposant, doch was mir mindestes ebenso imponierte, war die Tatsache, dass hier ein beträchtlicher, wenn auch finanziell nicht fassbarer “Mehrwert” für die FilmemacherInnen-Community geschaffen war:
Denn TILT THE TOWN war weit mehr als eine Kontaktliste. Unter dem begleitenden Twitter-Hashtag #TiltTheTown entstand ein lebhafter Diskurs innerhalb und im Umfeld der Szene, in dem Kooperationen angebahnt, eigene Projekte promotet, und eine Vielzahl von filmbezogenen Themen diskutiert wurden und werden. Dieser Diskurs dauert mit etwas verminderter Drehzahl bis heute an, und es ist zu erwarten, dass er mit der Fertigstellung und Distribution des Films TILT wieder beträchtlich an Tempo zulegt.

Unterdessen ist ein weiterer US-Filmemacher in Sachen Indie-Film-Community unterwegs: Lucas McNelly hat mit seiner Kickstarter-Campagne für A-YEAR-WITHOUT-RENT Crowdfunding-Geschichte geschrieben. Auch ihm ist eine ansehnliche Summe zugeflossen: 12.178 US-Dollar. Mit diesem Geld finanziert er eine einjährige Reise von einem Indie-Filmprojekt zum nächsten. Er hilft mit am Set – und er berichtet von den Produktionen, die er besucht.
Der in Geld schwer fassbare “Mehrwert” dieser Unternehmung liegt allerdings nicht allein in dem PR-Effekt für die einzelnen besuchten Produktionen. Lucas beschreibt vielmehr genau, detailliert und ausführlich (manchmal in Serien über mehrere Blogposts hinweg) organisatorische und technische Probleme der einzelnen Low-Budget-Produktionen – und erzählt, wie immer wieder der “Spirit of Indie Filmmaking” mit unkonventionellen Lösungen beispringt.
Hier entsteht ein Kompendium des unkonventionellen Filmemachens, das nach Beendigung der Tour als (wie ich hoffe “transmediales”) Werk vorliegen soll.
Dass diese Arbeit von der US-FilmemacherInnen-Szene hoch geschätzt wird, zeigt die Crowdfunding-Campagne “A YEAR WITHOUT RENT – Thanksgiving”, die von den Kanadischen Filmemacherinnen Victoria und Jen Westcott und anderen ins Leben gerufen wurde, um zusätzliche Mittel für Lucas aufzubieten.

Nicht (nur) die FilmerInnen-Szene, sondern das, was in Amerika “local community” genannt wird – die Menschen vor Ort, im Stadtteil, im Dorf, in der Nachbarschaft, aber auch in weiteren geographisch / politisch / sozialen Zusammenhängen… – das klassische “Gemeinwesen” also, hat der amerikanische Filmemacher, Professor und Journalist Marty Lang im Sinn, wenn er einen Artikel über seinen Film “RISING STAR” betitelt: “The Rise of The Political Filmmaker”.
Marty beschreibt darin, wie sich sein Team in der Crowdfunding-Campagne und der Produktion ihres Spielfilms am Gedanken der Kooperation orientierte: mit Schulen und Einrichtungen vor Ort, Filmtrainingsprogrammen, ökologischen Projekten usw. – Marty betont dabei immer wieder den gegenseitigen Nutzen, den man wechselseitig voneinander hat.
Dieser Gedanke der Einbindung einer Produktion in die konkreten Themen, Bedürfnisse und Möglichkeiten eines konkreten Gemeinwesens ist an sich nicht neu. Doch wenn ich in einer Stadt wie Hartford, die von Arbeitslosigkeit schwer betroffen ist – und in Kooperation mit dieser Stadt – einen Film mache, der (auch) Arbeitslosigkeit zum Thema hat, dann ist der Prozess der Filmherstellung selbst schon ein politischer Akt.

Bei dem österreichisch-internationalen PROJECT HOMOPHOBIA des Linzer Filmemachers Gregor Schmidinger sehe ich einen ähnlichen Grundgedanken – hier allerdings nicht auf eine lokale sondern auf die global vernetzte LGBT-Community zielend.
Gregor hat schon vor Ende seiner Campagne sein Finanzierungsziel nicht nur erreicht, sondern überschritten. Und ich habe das Gefühl, dass dies nicht nur daher kommt, dass viele aus der lesbisch-schwulen Szene ihm und seinem Projekt Sympathie entgegenbringen.
Gregor betont in seiner Projektbeschreibung, dass er die Unterstützer als Teil des Teams versteht und ihnen auch Möglichkeiten zur Mitsprache einräumt. Vielleicht erwartet oder erhofft man ja in der Szene, über den Weg der Förderung und Teilnahme an dem Projekt einen Solidarisierungseffekt zu erreichen, der auf die Zielgruppe zurückwirkt und sie in ihrer Identität und ihrem Selbstbewusstsein bestärkt…

II.

Kann also der Akt des Filmemachens selbst, wenn er getragen wird von einer “Community”, die sich persönlich, thematisch, mit dem entstehenden Film identifiziert, zum “politischen Akt” im weitesten Sinne, zu einer “Res Publica” werden…?
Kann – zusätzlich zu Inhalt, Thema, Aussage eines Films – die gruppenbildende Wirkung einer Crowdfunding-Campagne eine eigenständige Dynamik entwickeln, die über den eigentlichen Finanzierungs- und Produktionsprozess des Films hinaus fortwirkt…?
Kann eine Crowdfunding-Campagne und das Machen eines Films zum Katalysator werden für gesellschaftlichen Wandel?

Hier ist sie wieder, die Wolke ;-)

Es ist, glaube ich, im Verlauf meines persönlichen Wegs nicht zufällig geschehen, dass ich mich in den letzten Monaten nicht mehr so sehr der “Vernetzung” im Indie-Film-Bereich gewidmet, sondern Kontakte gesucht und aufgebaut habe zu der auch in Deutschland aufkeimenden und wachsenden Demokratiebewegung. Sie ist im “Arabischen Frühling” entstanden, hat im spanischen “Democracia Real YA!” Europa erreicht, in der “occupy”-Bewegung eine spezifisch US-amerikanische Zuspitzung genommen.

In meiner persönlichen Sicht unternimmt es die Demokratiebewegung, die individuelle Lebens-Expertise eines jeden Mitglieds unserer Gesellschaft zu mobilisieren, um gemeinschaftlich Lösungen zu erarbeiten und die Gesellschaft real umzustrukturieren und demokratischer zu machen: unabhängig von partei- und gremienpolitischen Strukturen, ihnen zum Trotz, und über sie hinweg. Dies ist wirklich neu!

Die Crowdfunding-Idee ist diesem Ansatz wesensverwandt.

Ich habe das noch neblig-verschwommene Gefühl, dass der Crowdfunding-Gedanke sich nicht in seiner Anwendung als (Film-)Finanzierungswerkzeug erschöpft. Wenn wir lernen, den Crowdfunding-Prozess – d.h. die flexiblen Finanzierungs-Entscheidungen der UnterstützerInnen – als Element einer basisdemokratisch orientierten (kulturpolitischen) Willensbildung zu sehen… -

- … dann könnte über ein derart verändertes und sich veränderndes Medienverständnis – unabhängig von partei- und gremienpolitischen Strukturen, ihnen zum Trotz, und über sie hinweg – ein inhaltlicher, formaler, ästhetischer und gesellschaftspolitischer Wandel des Filmemachens eingeleitet werden:
Im Sinne eines EMPOWERMENT; einer aufgeklärten Bürgergesellschaft.
Filmförderung von unten!

~

Ich fürchte fast, die Wolkigkeit meiner ursprünglichen Aussage hat sich durch diesen Blogpost nicht wirklich zu konkret umsetzbaren Handlungsleitfäden kondensiert; möglicherweise aber hat diese Gedankenwolke einige Formungen durchlaufen, die mit der Zeit sich weiter verändern, oder aber, der Natur der Wolken gemäss, auch wieder zerfliessen mögen…

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